Hintergrund und Geschichten

 Den Song „Unser Land“ wollten wir zum ersten Mal in Steinzeichen spielen – im Larperlebnis Park in Rinteln.

 

Eigentlich hatten wir vor, in Ruhe unseren Soundcheck machen, da sprach uns eine junge Frau an, ob wir nicht einen Song für ihre Schwester spielen wollten: Sie würde heute heiraten und käme gleich mit einer Kutsche und ein paar Hochzeitsgästen vorbei. Van, Dag und Hoggar waren zunächst gar nicht so angetan von der Idee – wir waren noch nicht fertig und wollten in Ruhe etwas Neues ausprobieren. Aber Runa überzeugte die Jungs – und da kam auch schon die Kutsche. Wir einigten uns schnell auf „Unser Land“ – irgendwie hätten viele Songs nicht zum Bund der Ehe gepasst: Die Sucht? Der Klauen?? KEIN SKLAVE???

 

Mann! Uns wurde da nochmal bewusst, dass wir echt wenige lebensbejahende Lieder haben.

 

Zögerlich betrat das Hochzeitspaar unsere Jurte. Die Gesellschaft blieb lieber draußen: Ein Kutscher mit grauem Bart und strahlenden Augen, direkt vor der Jurte ein paar Kinder – eines bohrte sich leidenschaftlich in der Nase, die anderen blickten eher ängstlich. Die anderen Erwachsenen blieben im Hintergrund.

 

Braut und Bräutigam standen allein mitten im Zelt. Van zeigte auf den Bräutigam:

 

„Du bist der Wolf!“ Der junge Mann nickte etwas angespannt.

Der Finger von Van wanderte langsam weiter zur Braut: „Und du bist die Kriegerin!“

Sie: „Cool!“ Ehrlich erfreut – sie konnte ihr breites Grinsen kaum unterdrücken.

 

Wir brachten den Song, waren noch null eingespielt und gaben unser Bestes.  

 

Am Ende waren die beiden sichtlich erleichtert, dass sie nichts „tun“ mussten. Die Braut strahlte und weinte zugleich. Auch der Kutscher mit dem weißen Bart wischte sich glücklich die Tränen aus den Augen. Nur die Kinder zeigten kaum Mine. Der Finger steckte immer noch in der Nase des Jungen – oder schon wieder.

 

Der Moment war so schön, wir hätten nach Hause fahren können. Auf jeden Fall der zauberhafteste Soundcheck bisher. Allein für das Lächeln der Braut hatte sich alles gelohnt: Der Aufbau der Jurte, die Fahrt, das Schreiben des Songs, das Training…

 

PS: Das Bild oben stammt von der Künstlerin Mandy Frank. Sie zeichnete alle 11 Bilder zum Musikvideo.

 Runa und Van machten Urlaub im Norden von Gran Canaria. Stell dir keinen Strand vor – eher Berge, dicke Wälder und kleine Dörfer. Recht viel Regen. Wir hatten uns zurückgezogen, um Musik zu machen. Nur mit einer alten Gitarre und der Cajon.

 

Das Haus war gruselig: Um uns herum standen fast nur leere Häuser und direkt am Grundstück gluckste ein riesiges Wasserbecken. Die Finca selber hatte nachts etwas von „Vampire“: Alte Kerzenleuchter, ein Steinbrunnen und verwunschene Sträucher.

 

Wir sind beide Asthmatiker. Okay, wir hatten ewig kein Problem mehr damit, aber Van bekam zum ersten Mal seit Jahren Luftnot. Nur nachts, keine Chance auf Schlaf. Schon so, dass er lange in diesem düsteren Garten abhing und nach Luft rang. Ob das in den Song eingeflossen ist, wissen wir nicht. Wahrscheinlich unbewusst.

 

Tagsüber war es manchmal sonnig und schön – da spielten wir eher fröhliche Lieder. Sobald es dunkel wurde, tauchten wir nur noch in die Geschichte von „Atme“ ein (und etwas in „Kein Sklave“). Allerdings hatten wir zunächst gar keinen Text, sondern nur eine Story. Der Song hieß damals noch „Dragol“ – wir wussten da noch nicht, dass wir einen Band gründen würden. Irgendwie wurde das Wort „gesungen“.

 

Wir beide stellten uns einen Drachen vor. Während des Spielens entwickelte sich die Geschichte:

 

Ein Mann stürzt in die Tiefe, sein Körper zerstört. Er steht kurz vor seinem Tod, wird immer müder und gibt auf.

 

„Der Raum wird weit, zwischen den Schlägen.

Die Weite scheint, Leid zu betäuben.

Im Dunkel treibend schwerelos.

Die Finsternis vertreibt das Licht.“

 

Ein engelhaftes Wesen versucht ihn zu erwecken. Sie kann ihm nicht helfen, sie kann nur an seinen Überlebenstrieb appellieren. Der Drache steht für den inneren Kampfgeist – der unbedingte Wille, zu überleben.

 

„Stille hüllt dich ein – in ein Meer von Dunkelheit.

Lässt du dich verführen, ist einsam Ewigkeit.

Fauler Schlaf malt Illusion; hörst du nicht sein Lachen?

Kalter Atem wird sein Lohn, wirst du erwachen?“

 

In der Meta-Meta-Ebene geht es eigentlich nicht einmal um den Tod, sondern um den Falschtod. Aber das würde hier den Rahmen sprengen. Kurz: Der Falschtod steht für ein betäubtes Leben (zombiehaft oder wie bei Matrix).

 

Am Ende des Urlaubs haben wir dann entschieden, eine Band zu gründen – und auf Deutsch zu singen. Wir hatten erst echt Probleme mit unserer eigenen Sprache, weil vieles im Deutschen schnell peinlich für uns klingt. Auf Englisch ist mehr erlaubt. Aber wir können die Geschichten und Bilder besser in unserer Muttersprache beschreiben. Inzwischen sind wir froh über die Entscheidung.

 

Weil es unser erster Song war – und ein Schlüsselerlebnis – benannten wir unsere Band nach dem Song. Und später tauften wir das Lied lieber „Atme“. Für uns die Kernaussage, die uns auch im Leben immer wieder erinnert.

 

Oder um den Extremsportler Wim Hof zu zitieren:

 

„Breathe, Motherfucker!“

😊

Im Englischen witzig – auf Deutsch ein Unding.

 

Zum Video "Atme" mit Cello bzw. in der  ursprünglichen Version.

Jeden Tag – Dragol Normalerweise haben wir beim Songschreiben einen Film im Kopf. Nicht unbedingt als Video, welches wir später drehen wollen. Einfach nur eine Vorstellung, was gerade passiert. Das hilft uns, beim Texten tiefer in die Emotionen zu gehen. Bei JEDEN TAG hatten wir DREI:

Ein junges Mädchen geht durch eine Masse von Kids. Alle lachen und bewegen sich in Zeitlupe – das Mädchen schaut kalt an allen vorbei. Es ist furchtbar mager und blass, ihre Augen traurig und einsam. Schnitt: Sie kommt aus einem schäbigen Schul-WC und wäscht sich erst die Hände – die Unterarme tragen alte Narben. Dann blickt sie in den Spiegel und wischt sich den Mund ab.

Ein MMA Kämpfer – völlig zerhauen, blaues Auge, Schürfwunden – fällt aus seinem Bett. Schlurft sich zum Spiegel und blickt in sein Hackfleisch-Gesicht. Dann rekapituliert er seinen letzten Kampf. Schnitt: Er wird zu Boden geschlagen – möchte einfach nur liegen bleiben. Runa singt: „Auch wenn der Schlag tief sitzt, und du nach Atem ringst, bleib nicht…“ Er zittert und ringt nach Atem – wie bei einem Asthma-Anfall. Dann rappelt er sich langsam hoch.

Eine alte Frau sitzt krumm auf ihrem Bett und ihr Gesicht spiegelt sich im Fenster. Ihre Falten sind tief und dünne blaue Äderchen verlaufen unter der Haut. Sie ist einfach nur müde. Und einsam. Am liebsten möchte sie sich wieder ins Bett legen. Schlafen. Ihre Augen suchen fragend den Raum ab: Lohnt es sich noch?

Sie seufzt und müht sich aufzustehen. Dann zieht sie ihre Schultern zurück und lächelt.

 

Song anhören.